Kann die Schule von heute noch die Schule von morgen sein?

Autor: @frau_stocker (Seite 1 von 5)

Was heißt eigentlich „zeitgemäß“?

Je länger ich über die Organisation „Schule“ nachdenke, umso mehr Bilder fallen mir ein… Und ganz ehrlich: nicht alle sind schmeichelhaft.
Lastenkähne, Kamele, überhitzte Kessel, …
Ich sehe alte, vergilbte Zeitungen, habe „Max und Moritz“ im Kopf. Ich bin wohl irgendwie zurückgeblieben, hinter der Zeit, nicht up-to-date.

Dabei weiß ich, dass Schulen inzwischen anders funktionieren. Die Schule von heute IST NICHT die Schule von gestern oder gar vorgestern. Und doch habe ich irgendwie nicht das Gefühl, dass sich Schule ernsthaft verändert hat.

Und ich denke zurück an einen Vortrag von Dirk von Gehlen (@dvg) am Digitalen Lehrerkongress in Gauting…

Aus dem Kopf sagte er sowas wie: „Auch wenn wir die Schule von morgen denken, ist das nicht zeitgemäß, bis wir sie umgesetzt bekommen. Wir müssen uns weiter in die Zukunft stellen und von dort aus denken.“

Tja, und genau da liegt das Problem: Wir sind ganz oft viel zu sehr in unseren Mustern und Ideen verhaftet. Wie sollen wir da von der Zukunft aus in die Gegenwart zurückdenken?

Wer kann so etwas? Dafür brauchen wir keine Ziele, wir brauchen Visionen.

Wo liegt der Zielpunkt, wo wollen wir hin? Und wie sieht es dort aus? Myrle Dziak Mahler (mydz.bsky.social) hatte sich auf der #molol23 ähnlich geäußert: „Stell dich doch einfach mal in die Zukunft und schau dann auf dein „Jetzt-ich“. Wie bist du dort hin gekommen? Welche Schritte würdest du deinem Ich empfehlen?“

Wenn ich wüsste, wohin ich will, dann wäre JETZT der Moment zu gehen. Aber einfach nur loslaufen um schneller anzukommen, ist halt auch blöd.
Und so werde ich versuchen, hier meine Ideen zu sammeln, zu strukturieren und vielleicht manchmal auch die vielen analogen und digitalen Lehrerzimmer mit einzubeziehen.

Gemeinsam lässt sich vielleicht eher eine Zukunft visualisieren.
Gemeinsam lässt sich vielleicht eher eine Vision in einen Zweck überführen.

Schulentwicklungsberatungs-irgendwas

Wer hier schon mal reingeschaut hat, weiß, ich bin Lehrerin. Nicht nur „ein bisschen“, nicht nur der Ferien oder der Arbeitszeit wegen. Ich mag Kinder und Jugendliche und kann mir nicht viel Schöneres vorstellen, als diese zu begleiten. Und doch fange ich morgen etwas anderes an…

Anfang letzten Jahres (ich spreche natürlich von Schuljahren) war schon einmal „alles anders“ aber irgendwie war es wie zuhause ankommen. Ich hatte gewechselt vom Privatschuldienst zurück zum Staat, in DIE gewerbliche Schule, in der ich bereits 2008/9 meine Heimat gefunden habe, an meinen ersten Dienstort in Deutschland.

Schon damals hatte ich die „spannenden Kids“. Ich war vor allem im BEJ (Berufseinstiegsjahr) eingesetzt worden. Nach den ersten drei Wochen war ich fertig mit der Welt. Zwei Wochen später hatten wir uns schon fast sowas wie arrangiert. Und spätestens ab Anfang Dezember lies ich kein schlechtes Wort mehr über „meine Schüler“ (ich hatte tatsächlich NUR Jungs) kommen.

Ich war, wie 90% meiner Schüler damals, auch eine Ausländerin im Klassenzimmer. Und ich war, (auch wie 90% meiner Schüler damals) nie eine einfache Schülerin gewesen. Nach Startschwierigkeiten (danke den Kollegen, die mich in den ersten zwei Monaten immer wieder aufgebaut haben, schon damals) war mir wieder klar: DAS sind die Schüler, für die ich unterrichte, das sind die Schüler, die mich brauchen. Das sind die Schüler, mit denen ich mich wieder und wieder und wieder streiten werde, wenn sie davon profitieren. DIE Nerven hab ich.

Chillen war da irgendwie nicht, NIE. Oft hatte ich das Gefühl, mein Unterricht ist nichts. Und wenn ich „nichts“ sage, dann meine ich nichts. Egal ob supertoll vorbereitet oder eher Schwellendidaktik: ich hab keine Unterschiede gesehen. Und doch: irgendwas war da. Und schlussendlich haben alle Schüler bestanden. Alle hatten danach ihren Abschluss.

Heute frage ich mich, warum ich gegangen bin, zum zweiten Mal… Denn auch das vergangene Schuljahr war wunderbar. Bis zu den Herbstferien war es eine Katastrophe: Schule gewechselt (war dringend nötig aus unterschiedlichen Gründen. Und ich habe für mich gelernt: 7 Jahre…): von der gymnasialen Oberstufe an einer Katholischen Freien Privatschule wieder zurück an die gewerbliche Schule, zurück zu „meinen“ Kinder, jetzt mit anderem Namen: AV-Dual (Arbeits-Vorbereitungsklasse Dual), private Umbrüche, Neuorientierung im „Freundeskreis“… Und jünger bin ich ja auch nicht geworden.

Meine Kollegen hatten mich aufgenommen, als wäre ich nicht 11 Jahre weggewesen. Es war wie „zurückkommen“ in die Familie. Die Schüler:innen waren schrecklich: „Wenn ich Sie morgens sehe, Frau Stocker, bekomme ich das Kotzen“… Was ein Glück hab ich heute bloß acht Stunden in dieser Klasse…

Ich habe gelernt, dass ich das aushalte. Dass es auf die Beziehung ankommt ist ja nichts Neues. Neu waren die vielfältigen Herausforderungen im letzten Jahr. Die Schüler sind anders geworden, sie suchen NOCH mehr Halt, finden noch mehr Ablenkungen und brauchen auch oder vor allem in der Schule Menschen, die klar sind, die Klarheit geben und verlangen. Meine Schüler…

Trotzdem wechsle ich in einen Job, von dem ich weiß, dass ich erstmal nichts mehr mit Schülern zu tun haben werde. Und ganz ehrlich, das finde ich schrecklich. Vergesse ich so nicht, warum ich Lehrerin bin, warum ich das alles gemacht habe, gern und mit unglaublich viel Spaß und Freude?

Nein, ich glaube nicht. Und wie gesagt, ich habe gelernt: 7 Jahre…
Ich will etwas bewegen. Ich will -warum sonst hätte ich diesen Blog- Schule neu denken. Ich habe es versucht als „einfache“ Lehrerin… Graswurzeln und so, Entwicklung muss von unten kommen und so, … War nix, zumindest nicht genug für mein Gefühl.

Entwicklung geht halt nicht mal einfach so… Nun gut. Nächster Schritt: Weitere Ausbildung und dann Mitglied im Schulleitungsteam… Schön, besser bezahlt und auch nicht das Gelbe von Ei. Meine Erkenntnis: es gibt Menschen, die können das besser. Mein Zugang: ich mach dann mal, dann schau ich und dann sehen wir schon…

Heute sage ich: Es gibt für jede Schule eine Zeit und nicht alle Schulen müssen alles zugleich ändern. Außerdem hat jede Schule (und ich spreche jetzt mal nicht von der Organisation, sondern tatsächlich von Einzelschulen) eigene Bedürfnisse. Und -seien wir ehrlich- nicht immer können die Kinder an erster Stelle stehen, weil eben manchmal auch andere Variable zuerst geändert werden müssen.

Mein neuer Wirkungsort, meine neue Aufgabe bringt mich vielleicht, hoffentlich auch mit der „Entfernung“ vom Kind näher an die Möglichkeiten, Schulen im Sinne der Kinder und Jugendlichen weiterzuentwickeln. Mir ist klar, ich kann „Schule neu denken“ solange ich will, ich bin an die Eckpfeiler der Organisation gebunden, die mich beschäftigt. Und doch habe ich Freiheiten: Ich darf coachen, darf vermitteln, darf Richtungen aufzeigen und Strukturen ermöglichen.

Eigentlich ein guter Job… auch WENN mir die Kinder fehlen werden. Und die Kollegen. Und der tägliche Streit, ob die Hausaufgaben gemacht und als solche überhaupt sinnvoll waren.

Schule hat was von einem großen Containerschiff… manchmal müssen diese rückwärts in einen Hafen gezogen werden, damit sie bei Gefahr auch wieder auslaufen können. Sie sind nicht so wendig, aber sie haben kostbare Fracht. Vielleicht können wir auf etwas kleinere, wendigere Schiffe setzen in Zukunft.

Wenn viele Leute „Schule denken“

Manchmal ist es schon cool. Da hast du eine Idee, einen Gedanken, vielleicht sogar eine Vision. Und dann redest du mit Menschen. Und irgendeiner sagt dann das, was du grad formulieren wolltest, bloß in anderen Worten.

Ich war auf der #molol23 in Hannover. Und es war schön!
Ich durfte dort zwei „Workshops“ halten und ein Streitgespräch. Ich hab mir, ehrlich gesagt, nicht viel von mir erwartet.

Ich bin kein Profi, ich bin keine „Digi-Heldin“, ich bin noch nicht mal mehr „up-to-date“, wenn ich mir anschaue, was Chat-GPT mit unseren Schulen grad so macht. Aber eines bin ich immer noch: Begeisterte Lehrerin.

Als ich zu meinem Workshop-Raum gehen wollte, waren da, 20 Minuten vor Beginn, alle Stühle besetzt. Ich vermutete, dass es sich bei den Menschen noch um Resthörer:innen des vorangegangenen Vortrags handelte. Mein Thema war und ist nicht neu, es ging um Agilität im Klassenzimmer, darum, dass es auf uns Lehrer ankommt und auch darum, dass wir immer schon agil arbeiten, nur halt eben dabei von „Tagesgeschäft“ und nicht von „Agilität“ sprechen.

Und dann stellte ich fest: Verdammt, die kommen tatsächlich zu MIR… und es wurden dann auch noch ein paar mehr. Ein tolles Gefühl, wenn du Menschen mitnehmen kannst. Ein noch schöner, wenn du an den Gesichtern erkennst, dass sie sich wiederfinden in deinen Gedanken, dass sie interessiert sind an deinen Ideen, an deiner Art zu Arbeiten. Und dann weiß ich auch wieder, warum ich Lehrerin bin: Weil es mir Freude macht, Menschen zu begeistern, für Themen, für Methoden, auch mal für Neues.

Ich durfte auf der #molol aber auch bereichernde Menschen hören und kennenlernen. Der Mut-mach-Impuls von Myrle Dziak-Mahler, den wir auch ein bisschen Kolumbus zu verdanken haben war einfach nur gut, Thomas Lange hat von seiner Zeit in Großbritannien erzählt und Björn Nölte sprach über die Möglichkeiten neuer Prüfungs- und Lernkulturen, in denen das Kind wieder mehr in den Mittelpunkt rückt.

Und du sitzt dabei, hörst zu und siehst dich selbst immer wieder nicken: Genaus so, genau das, … und warum dauert das alles so lange, wenn wir doch eigentlich so viele sind, die in die selbe Richtung wollen?

Vielleicht sollten wir, die wir „Schule neu denken“ (@halfmann1334 hörst du mich?!?) einfach mal zusammen vor dem KuMi stehen und fragen, ob WIR jetzt mal helfen dürfen…

…wenn doch so viele Menschen Schule denken…

DANKE Andi Hofmann, für die tolle Möglichkeit der Vernetzung und der Möglichkeit immer wieder weiter zu lernen.

Geschafft

Ich hab nachgedacht. Das soll ja manchmal helfen.
Im letzten Schuljahr war ich an einer gewerblichen Schule tätig. Nach 11 Jahren gymnasialer Oberstufe durfte ich im AV-Dual unterrichten. Als es um die Verlängerung an der Schule ging, war für mich klar: „Ich bleibe gern an der Schule, aber NUR, wenn ich wieder ausschließlich im AV-Dual arbeiten darf. Ich verwende absichtlich den Begriff „arbeiten“, denn das AV-Dual verlangt viel mehr als einfachen Unterricht. Der kann da noch so toll vorbereitet sein, noch so schön digital rüberkommen, noch so viele verschiedene Sozialformen abbilden, wenn die Basis nicht stimmt, war alles umsonst.

Hattie sagte mal was von der Wichtigkeit der Lehrperson. Mir war das immer klar, heute würde ich meine Hand dafür in Feuer legen. Wenn ich zurück denke, an meine Schulzeit, dann gab es wenig, das mich so sehr interessiert hätte, dass das „intrinsische Lernen“ gewonnen hätte. Aber ich hatte Lehrerinnen und Lehrer, für die hab ich gelernt. Klingt schräg… Vielleicht muss ich umformulieren: Es gab Lehrerinnen und Lehrer, die wollte ich nicht enttäuschen, vor denen wollte ich ich nicht blamieren. Und deshalb hab ich gelernt. Und ich hab mich gefreut darüber, wenn ich von denen dann auch mal gelobt wurde. Und es gab Lehrpersonen, die waren mir schlicht und ergreifend egal. Ich war frech, ungezogen und hab über die denkbar schlechten Noten maximal gelächelt.

Als ich mein zweiwöchiges Unterrichtspraktikum machte, sagte meine ehemalige Geschichtslehrerin (ja, ich habe es an meiner alten Schule gemacht) zu mir: “ Ich hoffe, dass du alles zurückbekommst, was du uns angetan hast.“ Der Kunstkollege sagte das selbe in wesentlich unfreundlicheren Worten. Ich gebe zu, ich war keine Musterschülerin.

Vielleicht mag ich deshalb die schwierigen Kinder, die anstrengenden. Die, mit denen jeder Zoff hat. Weil ich selbst so war.
Unterrichten kann jeder (liest man ja auch in der An-Werbung für den Lehrer*innenberuf in Baden – Württemberg), und manchmal muss man sich dafür auch ein gerüttelt Maß an Fachwissen aneignen, aber arbeiten in der Schule macht viel mehr Spaß. Arbeiten an sich selbst und mit den Schülern. An ihrem Selbstwert, an ihrem Selbstverständnis und erst dann an den Kompetenzen, mit denen sie in die Arbeitswelt entlassen werden. Es war ein gute Jahr für mich. Vielleicht das beste seit langer Zeit. Und es war deshalb gut, weil am Schluss klar war: Wir (die Schülerinnen und Schüler, die Kolleginnen und Kollegen, die Schulleitung, die Sozialarbeiterin und unsere AV-Dual-Begleiter) haben das Schuljahr gemeinsam geschafft. Und alle haben bestanden.

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