Lieber Andi (@halfman1334)

vor einigen Tagen hast du dich darüber ausgelassen, dass „Schule neu denken“ immer nur neue Apps, neue Anbieter, neue Gadgets und im Prinzip alten Wein in neuen Schläuchen meint.
Und dabei ist mir aufgefallen, dass ich mich immer angegriffen fühle, wenn du sowas sagst. Dabei bin ich nicht die Erste, die diese Begrifflichkeit nutzt, nicht die Einzige, die versucht, sich damit Gehör zu verschaffen…
Und dann merke ich: Verdammt, Andi hat recht. Es gibt ganz viele Menschen, die, wie ich, Schule neu denken wollen und damit, warum auch nicht, Geld verdienen möchten.

Und so gern ich mich hier mit dir, lieber Andi, anlegen würde, so wenig kann ich das. Auch wenn mein „Schule neu denken“ vielleicht

„Schule neu denken“ fängt vorne und hinten zugleich an, ganz oben und ganz unten, bei den Kindern, den Eltern, den Gebäuden, den Inhalten, den Prüfungen, … eigentlich überall zugleich. Aber wo soll man, wo soll ICH anfangen? Und wo KANN ich anfangen?

Wenn ich M-eine Schule sehe, dann sehe ich in glückliche Kinderaugen, die Spaß am Lernen haben. Dann sehe ich Kolleg:innen, die Freude daran haben, Kinder zu begleiten, denn DAS muss unsere Aufgabe sein. Wir können nicht mehr die Wissensvermittler:innen sein, zu denen wir -also ich auf jeden Fall- ausgebildet worden sind. Denn das funktioniert nicht mehr.

Ich habe Kinder (ist hier ja schon hinlänglich bekannt). Ich weiß noch, wie toll das war, als K1 reden lernte. Heute wünsche ich mir manchmal, K1 würde auch mal still sein. Ich weiß auch noch, WIE anstrengend es war, als K1 immer alles genau wissen wollte und wie völlig überfordert ich damit war, was es dann alles wusste (Mama, schau mal, das da draußen ist ein Zilpzalp – Vogelbücher können anstren-gend sein). Wann hat das Fragen aufgehört? Und warum?

Wenn ich M-eine Schule sehe, dann fragen die Kinder und die Lehrer:innen antworten. Und manchmal führt das ganz weit weg vom Stoff und dem geplanten Unterricht. Aber ist das denn so tragisch?

Wenn ich „Schule neu denke“, dann wünsche ich mir am „oberen Ende“ junge Menschen, die M-eine Schule verlassen, in dem Gefühl:

  • Das war gut hier.
  • Hier hab ich gelernt, dass ich Fragen stellen darf,
  • dass es w/richtig ist, wenn ich mich beteilige
  • und dass ich auch mal „nein“ sagen darf, wenn ich nicht einverstanden bin.

Lange Zeit habe ich vom Gymnasium aus gedacht, lange Zeit habe ich auch dort unterrichtet. Die Probleme, die ich sehe, wenn ich dort etwas ändern will, sind vielfältig. Es stellt sich ja schon die Frage, wer denn etwas geändert haben MÖCHTE.

  • Die Eltern? Wohl eher nicht, denn ihr Kind besucht eine Schule, die nach bestimmten Standards funktioniert. Und bisher auch GUT funktioniert hat. Es gibt also keine Grund, daran etwas zu ändern.
  • Die Universitäten, auf die die Abiturienten mal gehen? Wohl auch nicht. Alles was sich im „System Gymnasium“ ändert, hat Auswirkungen auf das „System Universität“. Hier zieht die eine Veränderung notgedrungen eine andere nach sich. Außer, die Unis weigern sich, dann wäre die Veränderung ein Schuss in den Ofen.
  • Die Schüler:innen? Sie wollen ein Abitur. Und damit sind wir wieder bei den Universitäten und, und, und, und…
  • Die Lehrer:innen an den Gymnasien? Da gibt es sicher den Einen oder die Andere, die sich Bewegung wünschen würden. Aber sie wissen auch alle: Am Ende steht das Abitur und das will mit all seinen Prüfungen, wie sie aktuell eben aussehen, bestanden werden.
  • Die Regierungspräsidien und die Kultusministerien? Ich wage mal eine Prognose: Nein.

Wo also anfangen, mit dem Denken?

Lieber Andi,
wie ist das denn bei dir? Womit würdest du anfangen, womit aufhören. Und für wen sollten wir den die „Schule neu denken“? Bist du dabei, wenn es darum geht, mehr zu tun und weniger zu reden? Freu mich über jeden Mitstreiter, jede Mitkämpferin, über alle, die sich trauen weiter zu denken, als nur bis zum Tellerrand.

Ich möchte nicht mehr nur „neu denken“… ich möchte endlich MACHEN!